Kolumne (5) – Schweine unterwegs: Euphemismus muss

Schwein auf LKW (KI)

Autobahn, Norddeutschland. Schmuddelwetter, Regen, Grau in Grau. Es geht durch das niedersächsische Flachland. Die A1 ist dreispurig ausgebaut, rechts LKW an LKW, links zischen 5er-BMWs vorbei, dazwischen ich. Spritzende Gischt von beiden Seiten.

Doch mehr noch als der dichte Verkehr, ärgert mich das, was da unterwegs ist. „Achtung, lebende Tiere“, so steht es auf den Lastwagen, und zwar auf erstaunlich vielen. Wahrscheinlich war das schon immer so, doch erst seit einer Weile achte ich bewusst darauf. Welch eine Kolonne ist davon unterwegs! Zu sehen ist hinter der Wagenwand natürlich kaum etwas. Fenster für die Passagiere sind nicht vorgesehen. Die Wagen, die an der Seite noch Luftschlitze hatten, durch die Schweinenasen oder Ohren herauslugten, die gibt es kaum noch. Stattdessen runde Lüftungsschlitze auf drei Ebenen. Wenn man, so wie ich, die Fleischtheken der Nation meidet, ist der einzige direkte Kontakt zur industriellen Tierverarbeitung der Moment der Begegnung auf der Straße. „Achtung, lebende Tiere!“

Es ist ärgerlich genug, dass die Tiere transportiert werden. Das ist für sie traurig und bitter und müsste doch auch traurig und bitter sein, für alle, in deren Auftrag sie unterwegs sind. Aber dass auf fast allen Fahrzeugen fröhliche Tiere abgebildet sind, das ist höchst zynisch!

Hier nur einige Beispiele: Ein tanzendes rosa Schwein mit Sonnenbrille hält gut gelaunt seinen Oberschenkel ins rechte Licht, so als wolle es selbst seinen Speck anpreisen. Ein Rind und ein Schwein sitzen auf Liegestühlen, trinken Cocktails und sagen, sie seien „gut unterwegs“. Andere Fahrzeuge sind etwas dezenter dekoriert und zeigen „nur“ lachende Tiere. Aber auf fast allen steht, dass das Transportunternehmen dem Tierschutz verpflichtet sei. Vermutlich ist damit gemeint, dass das Unternehmen stolz ist, die EU-Normen einzuhalten. Das alles jedoch kann nicht über die Tatsache hinwegtäuschen, dass die Tiere auf engstem Raum ihrem Tod entgegenfahren. Das muss sich ein Transportunternehmen ganz offensichtlich schönreden und den Kund*innen, die ihre Fahrzeuge unterwegs sehen, ebenfalls. Ohne diesen grafischen Euphemismus geht es nicht.

Die meisten der Transporte sind vermutlich mit Schweinen unterwegs. Im Landkreis Oldenburg werden 7,4 Millionen Schweine gehalten (2022), im Kreis Vechta 2,8 Millionen, im Kreis Cloppenburg 1,4 Millionen. 46 Millionen Schweine wurden in Deutschland im Jahr 2022 geschlachtet. Da auf einen LKW rund 150 Schweine geladen werden, waren in dem Jahr also rund 300.000 Transporte nötig. Dazu kommen die Fahrten für 1,4 Millionen geschlachtete Rinder und für 631 Millionen geschlachtete Hühner. Dass es den Tieren zwischen ihrer Geburt und ihrer Tötung auch nur einen Moment gut geht, ist zu bezweifeln. Auf der Fahrt zur Schlachtung schon gar nicht.

Gemalte Tiere mit guter Laune sind uns ein erträglicherer Anblick als die lebenden und leidenden Tiere selbst. Denn wegsehen, das haben wir gelernt. Nicht wenige denken, da könne man halt nichts machen, das gehöre eben dazu. Sicher tun die Tiere ihnen sogar leid, jedenfalls solange, bis das knusprige Schnitzel auf dem Teller liegt. Ein Leben für 15 Minuten „Genuss“. Aber man kann etwas machen: Als erstes zum Beispiel hinsehen und den Zynismus erkennen. Das Positive ist, dass zumindest hierzulande immer mehr Menschen hinsehen, hinfühlen und andere Formen des Genusses suchen und finden.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

*