Kolumne (4) – In der Weihnachtsbäckerei

erschreckter Mann mit Weihnachtsplätzchen

In der Weihnachtsbäckerei gibt es manche Heulerei. Denn es ist die schwierigste Zeit des Jahres. Zumindest für diejenigen, die sich veganer ernähren möchten, aber den Schritt zu 100 % noch nicht geschafft haben. Also für mich beispielsweise. Dann steht es irgendwann an, den lieben erweiterten Familienkreis darüber informieren zu müssen, dass man jetzt nicht mehr nur auf Fleischprodukte, sondern gänzlich auf tierische Zutaten verzichten möchte. Aus Gründen.

Nicht nur die Überzeugung der anderen, auch die Kontrolle des Selbst ist in dieser Zeit des Überangebots an Naschwaren schwierig. Da liegen Lebkuchen herum, man bekommt einen Adventskalender geschenkt, die sehr geschätzte Kollegin aus der Verwaltung stellt im Auftrag der Geschäftsführung Nikolaus-Tüten auf die Schreibtische. Das ist doch eine Auszeichnung, pure Wertschätzung der eigenen Arbeitsleistung. Das abzulehnen wäre doch wirklich bedauerlich!

Vegetarische Alternativprodukte auf Familienfeiern: Ich sah das als großen Fortschritt an und wollte die Hürde nicht erneut anheben und mich dankbar zeigen.

Nächste Hürde: Familienbesuche in der Weihnachtszeit. Die Schwiegermutter hat es im zwölften Jahr endlich akzeptiert, dass ich an den Festtagen keinen Gänsebraten möchte. Es gibt dann immer den kleinen Teller des Mitleids oder des wohlwollenden Verständnisses oder der Schande: vegetarische Ersatzprodukte. Aber häufig eben vegetarisch. Der Unterschied zwischen vegan und vegetarisch ist für Außenstehende offenbar gar nicht so einfach nachzuvollziehen. Und ja, in den letzten Jahren war ich auch dankbar, dass der Netto in der sächsischen Provinz auch diese Alternativprodukte im Angebot aufnahm. Ich sah das als großen Fortschritt an und wollte die Hürde nicht erneut anheben und mich dankbar zeigen.

Wie soll ich nun erklären, dass ich jetzt auf einmal mehr möchte? Oder weniger. Äh, sag mal, ist da Ei drin? Oder Milchprodukte? Äh, dann doch lieber nicht. Weil ja jetzt vegan. Also vegan, das ist kein Fleisch, und auch keine Milch und auch kein Ei. Nein, da ist es egal, ob es aus Bodenhaltung ist. Kommt es vom Huhn, dann ist es nicht vegan. Nein, auch bio spielt dabei keine Rolle. Nein danke, keinen Käse bitte. Auch nicht den, der sonst immer mein Lieblingskäse war. Nein, auch keinen Eierlikör. Und Schokolade auch eher nicht. Nein, weder die superleckeren roten Kugeln, noch die Schokolade aus dem Adventskalender, Lebkuchen auch nicht, danke. Darf ich mal auf die Zutatenliste der Aufbackbrötchen schauen?

Ich sehe mich in Gedanken alle wunderhübsch dekorierten Weihnachtsteller mit den leckeren Köstlichkeiten umschleichen und trainiere mich mental, der Verlockung zu widerstehen. Gedanklich male ich ganz häßliche Fratzen auf die Kekse. Es gibt einen Teller in der Küche, gleich neben dem Frühstückstisch, einen im Wohnzimmer, zwei kleine im Gästezimmer, die extra für uns bereit stehen, dann den im Flur für alle Fälle, den in der Veranda, der da steht, weil ja dort die Geschenke später aufgebaut werden. Selbst zum Schokoladenstückchen in Glanzpapier auf dem Kopfkissen meines Gästebetts sage ich in diesem Jahr nein. Zum Glück steht wenigstens im Badezimmer und auf dem Gästeklo kein Naschzeugs herum! Vielleicht schlage ich doch mal vor, dass ich vegane Alternativen besorge. Wenn schon Naschen, dann vegan. Dabei dürfte ich es sicherlich nicht vegan nennen, das triggert gleich wieder. Vielleicht kann ich eine Allergie vortäuschen. Das wäre eine Notlüge, aber es gäbe zumindest ein Thema weniger mit familiärem Konfliktpotential. Oder ich werfe es einfach mal so in den Raum, dann ist es raus. Befreiend ganz sicher, wie ein Outing. Sorry, keinen Lebkuchen mehr! Ich esse jetzt übrigens vegan!

„Was isst Du denn überhaupt noch, gar nichts Süßes mehr?

„Na, zu Hause, da haben wir immer diese Dinkel-Doppelkekse und die vegane Schokolade von …

„Veganer, sind das nicht die, die unserem Essen das Essen wegessen?“

„Äh, nein, wenn alle vegan essen, dann gibt es ja gerade für alle Menschen genug zu Essen, weil …“

„Aha, also links-grüne Verbotspolitik …“

„Nein, einfach nur einfühlsam und gegen Tierleid …“

„Also, gegen Tierleid sind wir doch auch, oder Miezchen? Geht‘s Dir nicht gut bei uns?“

„Na gut, einen Lebkuchen, danke. Und ach, von den Plätzchen auch zwei, die hat ja die Oma extra gebacken, weil ich die so mag. Ja, schön, dass sie immer noch an mich denkt, auch wenn sie nicht dabei sein kann. Schade. Ja klar, auch ’nen Eierlikörchen, stopp, nicht so viel …“

Wieder durchgefallen. Dafür den Familienfrieden gerettet. Wenn der Damm aber einmal gebrochen ist, dann gibt es kein Halten mehr. Ich werde jedem der Teller im Haus einen Besuch abstatten. Mindestens stündlich, bis sie leer sind.

Zum Ausgleich gibt es ja den Veganuary, den halte ich dieses Mal durch! Und starte im nächsten Dezember den nächsten Versuch.

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Disclaimer: Aller Personen, Situationen und Dialoge in dieser Kolumne sind frei erfunden. Dort wo es Parallelen zu tatsächlichen Begebenheiten geben könnte, sind diese zugespitzt und satirisch überhöht. Ich bin froh und dankbar über das Verständnis, das mir von vielen Seiten für meine vegetarische und zunehmend vegane Ernährungsweise entgegengebracht wird.

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